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Internetgestützte Psychotherapie - Erfahrungen von 22 Patienten
Beitrag 3/2005 (veröffentlicht am 18.07.2005)


Ergebnisse:

Von den 23 angeschriebenen Patienten äußerten sich 22, wobei der Umfang der Beiträge erheblich variierte. Alle Beiträge sind auf der Homepage (anonym) nachzulesen (www.dr-mueck.de/HM_Innovationen/Internettherapie/Internettherapie.htm ).

Geschl.

Alter

Diagnosen

Familienstand

Ausbildung

m

40

Angststörung

verheiratet

Studium

w

28

Depressive Störung, Beziehungsprobleme

ledig

Studium

w

44

Depressive Störung, Alkoholproblematik

verheiratet

Studium

w

49

Depressive Störung, Persönlichkeitsproblematik

ledig

Studium

w

35

Essstörung

ledig

Fachhochsch.

m

39

Depressive Störung

geschieden

Studium

m

23

Angststörung, Persönlichkeitsproblematik

ledig

Studium

w

30

Zustand nach Psychose

ledig

Studium

w

40

Essstörung

geschieden

Beamtenlaufb.

m

42

Angststörung

verheiratet

Gelernter Beruf

m

45

Depressive Störung

geschieden

Beamtenlaufb.

w

76

Depressive Störung

verwitwet

Volksschule

m

34

Depressive Störung

verheiratet

Gelernter Beruf

m

54

Depressive Störung

geschieden

Gelernter Beruf

w

54

Angststörung

verheiratet

Studium

w

24

Angststörung, Migräne

ledig

Studium

w

57

Depressive Störung

geschieden

 

w

56

Zustand nach Psychose, Angststörung

verheiratet

Studium

m

56

Depressive Störung

getrennt

Studium

m

44

Angststörung

verheiratet

Studium

m

26

Depressive Störung, Alkoholproblematik

ledig

Studium

w

57

Depressive Störung

verheiratet

Studium


Frauen (n = 11) und Männer (n = 11) waren gleichhäufig vertreten. Das Durchschnittsalter betrug 43,3 Jahre, bei einer Streubreite von 24 bis 76 Jahren. Patienten mit Studium waren deutlich überrepräsentiert (= 15).

Die Patienten litten vor allem unter (Möglichkeit der Mehrfachnennung)

-          depressiven Störungen (12-mal)

-          Angststörungen (7-mal)

-          Alkoholabhängigkeit (2-mal)

-          Zustand nach Psychosen (2-mal)

Folgende Vorzüge der internetgestützten Psychotherapie wurden von den Patienten explizit benannt (Auflistung ohne Wertung und in der Reihenfolge des Eingangs):

-          erste Orientierung durch die Informationen der Homepage (Vorteil: Anonymität)

-          Möglichkeit „in Ruhe Vorschläge und Tipps anzusehen“

-          erste Einschätzung des Schweregrads der Problematik mit Hilfe von Tests

-          Möglichkeit, im Anschluss an Therapiesitzungen erörterte Themen auf der Website vertiefend nachzulesen und nachzuarbeiten

-          einfache, bequeme und formlose Möglichkeit, per E-Mail einen ersten Kontakt aufzunehmen

-          niedrige Schwelle („Erleichterung“) für ersten Schritt in eine Therapie, Telefonat und persönlicher Gang in die Praxis fallen oft schwerer

-          Möglichkeit, schon vor dem ersten Treffen wichtige Daten und Fragen mitzuteilen und Gesprächsthemen abzustimmen bzw. sich mit den Problemen bereits unter Anleitung auseinander zu setzen

-          Überbrückung der Zeit bis zum Erstgespräch/Entschärfung der Krise

-          Erleichterung des anschließenden Gesprächs, das vergleichsweise schneller auf zentrale Punkte eingehen und Lösungsmöglichkeiten entwickeln kann

-          Aufbau von Vertrauen schon im Vorfeld des ersten Treffens

-          Entängstigung vor dem ersten Treffen (Patient kommt nicht mehr als Unbekannter, er kommt nicht „mit leeren Händen“)

-          Zeitgewinn (Kostenersparnis) durch die Möglichkeit, schon im Vorfeld wichtige Daten mitzuteilen („Lebensfragebogen“), die dann im persönlichen Gespräch nicht umständlich erhoben werden müssen

-          Impulse für den Patienten, sich zwischen den Sitzungen mit seinen Problemen auseinander zu setzen

-          Übung, sich schriftlich konkret auszudrücken und „festzulegen“

-          Leichtere Fokussierung von Themen (weniger leichtes assoziatives Abschweifen wie im Gespräch)

-          Aufrechterhaltung des therapeutischen Prozesses auch bei größeren Intervallen zwischen Therapiesitzungen

-          Entgegenkommen für Patienten, die sich lieber schriftlich als mündlich ausdrücken,

-          Schnelligkeit des Mediums kommt dem „Gespräch“ relativ nahe

-          Förderung von Offenheit, vielen fällt es leichter, Persönliches zu schreiben als verbal von Angesicht zu Angesicht anzusprechen (partielle Anonymität, Senkung der Schamschwelle „Da bin ich ja alleine“, „Da rannen mir manchmal beim Schreiben die Tränen nur so vom Gesicht“)

-          Hilfreiches Gefühl, dass die Worte auch gelesen werden (im Gegensatz zum Tagebuchschreiben)

-          Gefühl, kontinuierlich im Kontakt zu bleiben

-          Möglichkeit, jederzeit Dinge mitzuteilen, die „nach der Therapie hochkommen“

-          Schaffung von Distanz und Freiraum, sich Dinge dann mitzuteilen, wenn einem danach ist bzw. man sich damit befassen möchte

-          Gefühl, sich im Notfall, kurzfristig an den Therapeuten wenden zu können, ohne diesem sofort „direkt auf die Pelle zu rücken“ (wie bei einem Telefonat)

-          Stolz (Wertschätzung) durch Möglichkeit, eigene Beiträge auf der Website veröffentlichen zu können und so Vorbildfunktion zu übernehmen

-          Motivation, einen „Therapieordner“ anzulegen (mit Seiten der Homepage, Arbeitsblättern aus der Therapie und E-Mail-Ausdrucken)

-          Äußerer Ansporn (durch Nachfrage und „Kontrolle“)

-          Erhalt einer äußeren Struktur (Hilfs-Ich, externe Regulation), „habe ich nur weiter gearbeitet, weil abends eine Mail fällig war“

-          Stabilisierung durch „Therapeutenfeedback“

-          Überwindung des Gefühls von Einsamkeit, Erleben eines verlässlichen Begleiters

-          Gefühl ernst genommen zu werden, jederzeit auf Hilfe zurückgreifen zu können

-          Möglichkeit, spontan Emotionen (Freude) zu teilen

-          Gefühl, man sei der einzige, auf den sich der Therapeut so konzentriert

-          Überbrückung bei Terminschwierigkeiten, langer Anreise, nur wenigen genehmigten Therapiestunden, Begleitung während Klinikaufenthalten

-          Weniger Gelegenheit zu verdrängen (vor Therapiethemen zu flüchten)

-          Motivation zu vertiefter Auseinandersetzung mit Therapiethemen

-          Der Therapeut bleibt weiterhin „präsent“ und kann schon „mit wenigen Worten helfen“.

-          Möglichkeit, sich Kummer von der Seele zu schreiben

-          Entlastung der Sitzungszeit für anderes (z. B. Rollenspiele), der Therapeut wird schon vorab über den aktuellen Stand informiert, weniger „Erzähldruck“

-          Größere Alltagsnähe durch Möglichkeit, aktuell Erlebtes sofort mitteilen zu können

-          Regelmäßige E-Mail-Berichte werden zu einer Art „Therapie-Logbuch“

-          Universelle Verfügbarkeit des Therapeuten als Ansprechpartner (und stabilen Ruhepol im Leben), dadurch Möglichkeit zur Abgrenzung gegenüber „emotional verstrickten Bezugspersonen“

-          E-Mail-Kontakt als „seelischer Notarzteinsatz“, Einsparung von Kosten

-          Leichte „Erreichbarkeit“ des Therapeuten

-          Gefühl einer permanenten Betreuung

-          Kurzfristige Antworten lassen das Vertrauensverhältnis wachsen.

-          Kombination von Kontaktaufnahme, Information, Kommunikation

-          Homepage als Erinnerungshilfe, häufigere Aktualisierungen machen neugierig

-          E-Mail-Kontakt schafft Nähe und Halt.

-          Sofortige Beantwortung ist nicht unbedingt nötig.

-          Gefühl, der einzige Patient zu sein

-          Jederzeit Möglichkeit, Gedanken zu formulieren und auf den Punkt zu bringen

-          Geschriebenes bleibt besser haften

-          Schnelle Antworten vermitteln Gefühl von Interesse.

-          Aufbau von Grundvertrauen („Prinzip Antwort“)

-          Anonymität fördert Selbstoffenbarung.

-          In Momenten des Zweifels sind E-Mail-Kontakte besonders wichtig.

-          Therapeut ist anwesend, ohne körperlich präsent zu sein.

-          Hilfreiche Form der Nachsorge und begleitenden Unterstützung (wichtiges Werkzeug bei der „Reparatur des Ichs“)

-          Freiheit der Formulierung

-          Zukunftsweisender Weg, um Therapiezeiten zu verkürzen und Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient effektiver zu gestalten

-          E-Mail-Kontakt als sinnvoller Teil eines geschlossenen Systems (inkl. z. B. Sporttherapie)

-          E-Mail-Therapie als sinnvolle Form der Rückfallprophylaxe (zusammen mit Präsenzsitzungen)

-          Neue Form der Psychotherapie mit vielen Möglichkeiten, die das Gespräch nicht eröffnet

-          Gerade vor und nach einer Sitzung ist man sehr „aufgeraut“, findet Vorbereitungs- oder Nachbereitungshilfen, oder einfach nur eine Ansprache als sehr wohltuend und hilfreich.

-          Anders als bei konventioneller Therapie reißt das Band nicht zwischen den Sitzungen ab.

-          Ermöglicht tieferen Einblick in den Alltag des Patienten

-          Hilfreich und entlastend bei langen Anfahrten

-          Bei den ja oft häufigen Kommunikationsstörungen fällt es leichter, problematische Dinge schriftlich zu äußern, dadurch kann Einstieg in die Problematik schneller erfolgen.

-          Möglichkeit, die Sitzung mit dem Therapeuten schriftlich zu reflektieren

-          Vergessenes lässt sich leicht schriftlich nachbessern.

-          Familienmitglieder lassen sich leichter in die Therapie einbeziehen.

-          Die Tatsache, dass ich an einen Adressaten schrieb, bewegte mich dazu, den Text möglichst kurz zu halten, mich auf das Wesentliche zu beschränken (um den Therapeuten nicht zu überfordern), mich nicht zu verzetteln und im Chaos zu ertrinken. Ich konnte mich dadurch selbst besser verstehen.

-          Die schriftliche Antwort hatte ein besonderes Gewicht, prägte sich mir stärker ein als manches Mündliche.

-          Durch permanenten Kontakt fühlte ich mich nicht allein gelassen, hatte auch außerhalb der Therapiestunden einen kompetenten Ansprechpartner.

-          Bei früherem Therapeuten schickte ich Schriftliches mit schlechtem Gewissen ab, jede Mitteilung wurde elend lang, weil es die letzte sein sollte, was das schlechte Gewissen weiter verstärkte, das Meiste schickte ich daher später nicht mehr ab – wäre es erwünscht gewesen, hätte dies Druck genommen.

-          Der Mensch ist auch der, der er mit sich alleine ist: Gerade wenn er mit sich alleine ist, unverkrampft, ohne ein Gesicht für andere, ganz bei sich, ist er am meisten er selbst. Diesen Menschen lernt ein Therapeut nicht kennen.

-          Schriftliches ist ein Fenster in Menschen, deren Schwäche das Mündliche deren Stärke das Schriftliche ist.

-          Ergänzung durch Schriftliches kann den Heilungsprozess beschleunigen. Eine Vergütung bietet sich an, da die E-Mail-Kommunikation nicht in der Freizeit des Therapeuten erfolgen kann.

-          E-Mail-Kommunikation kann den Heilungsprozess beschleunigen, da die Patienten auch zwischen den Therapiestunden aktiv bleiben, was vielen durch die Ablenkungen des Alltags sicher schwer fällt.

-          E-Mail-Kommunikation eröffnet dem Patienten einen neuen Kommunikationskanal, Zeit der Muße, Besinnung und Nachbesinnung und fördert seine Wahrnehmung.

-          Sie macht ihn von festen Therapieterminen unabhängig und vermittelt Gefühl und Wissen, nicht mehr alleine zu sein.

-          Sie fördert die Akzeptanz des Therapeuten (als Elternfigur) und damit im weiteren Schritt die Verselbstständigung.

-          Homepage vermittelt Eindruck, dass sich der Autor wirklich um Menschen bemüht, die Hilfe suchen.

-          Schreiben zwingt, eigene Gedanken zu strukturieren und zu reflektieren.

-          Antworten sind ebenfalls gut reflektierbar und können immer und immer wieder gelesen werden.

-          Es entsteht eine Art Tagebuch und auch Protokoll des Dialoges zwischen Patient und Therapeut, was für beide vorteilhaft ist.

-          Diese Form der Beratung ist unabhängig von Ort und Zeit.

-          Wichtige Stütze, enorme Bereicherung und idealer Kontakt „zwischendurch“

-          Bereicherung für Patienten, die krankheitsbedingt nicht anreisen können

-          Schafft trotzt digitalem Medium eine beeindruckende Nähe

-          Hilft über Therapiestunden genauer nachzudenken und Therapie vor Ort nicht nur zu „konsumieren“

-          Das Schriftliche macht es manchmal leichter, seine Gedanken auszudrücken.

-          Wenn ich starkes Verlangen spürte zu trinken, konnte mir Dr. Mück auf unkomplizierte Weise helfen und ich hatte nicht das Gefühl, zwischenzeitlich allein zu sein (wohne weiter entfernt und habe 14-tägige Therapiesitzungen).

-          Indem ich die Korrespondenz auf dem Computer archiviere, kann ich meine eigene Entwicklung rückblickend beurteilen und Fortschritte erkennen

-          E-Mail-Kommunikation als Nachbetreuung gibt mir große Sicherheit und das Gefühl, nicht alleine zu sein, verstanden zu werden und im Regelfall eine gute Anregung zu erhalten – vielleicht ist das auch der eigentliche Grund, warum ich seit einigen Monaten wieder so gut drauf bin.


Weitere Äußerungen (Selbstbeschreibungen)

-          „Ich liebe das Internet“.

-          Bin in mündlichen Gesprächen oft nicht auf der Höhe meiner Möglichkeiten.

-          Therapiestunde ist zu kurz für mich, fühle mich unter Zeitdruck.

-          Psychologische Erkrankung ist oft eine Kommunikationsstörung, auch mir fällt es leichter, problematische Dinge schriftlich zu äußern.

-          Von herausragender Bedeutung, da ich einen langen Anfahrtsweg habe

-          Durch die eigene schriftliche Fixierung war ich imstande, Versäumtes, Unausgesprochenes auszusprechen, Missverständliches aufzulösen, einiges zu ergänzen, das Ganze zu strukturieren und damit Klarheit zu gewinnen.

-          Im unmittelbaren Gespräch doch oft „verstresst“

-          Zur Nutzungsintensität der E-Mail-Korrespondenz: Hier habe ich mir oft mehr Aktivität von meiner Seite gewünscht. Ich glaube, es wäre ein gewichtiges Buch für mich geworden.


Erfahrungen aus der Sicht des Therapeuten:

-          E-Mail-Kontakte wirken auf die meisten Patienten extrem beruhigend und beziehungsfördernd.

-          Übernahme von Interface-Funktionen (= Übersetzen, Regulieren) für den Patienten in dessen Alltag

-          Flexiblere Terminverwaltung

-          Einfache Dokumentation wichtiger Aussagen

-          Auch die Form der Interaktion (Inszenierung) wird glaubhaft dokumentiert und kann bei passender Gelegenheit zur Verdeutlichung genutzt werden

-          Möglichkeit zur Antwort in belastungsfreieren Zeiten

-          Anfragen und Stellungnahmen von Verwandten können an den Patienten weitergeleitet werden (Prinzip der Offenheit).

-          Nicht alle E-Mails müssen beantwortet werden.

-          Eine Überprüfung der Therapiemotivation, Mitarbeitsbereitschaft und Introspektionsfähigkeit des Patienten ist schon im Vorfeld des Erstgesprächs möglich.

-          Gute Ergänzung verhaltenstherapeutischer Interventionen („Fernbegleitung“ des Patienten bei Expositionen)

-          Erkenntnisse über die Kommunikationsfähigkeit des anderen (Theory of Mind)

-          Erhalt des Therapieerfolgs durch Miniinterventionen (in Form von kurzen E-Mails)

-          Viele Texte von Patienten bieten sich als wertvolles Material für die Website an (Zur Mitarbeit eingeladene Patienten erleben dies durchweg als Wertschätzung ihrer Fähigkeiten).

-          Kompensiert die im Vergleich zur Psychoanalyse oft nur geringe Stundenzahl

-          Zwischendurch-E-Mails fördern die Rückfallprophylaxe.

-          Internetgestützte Psychotherapie ermöglicht intensive Begleitung und Prozessförderung auch bei großer räumlicher Distanz.


Probleme

-          Vertraulichkeit ist im Internet nicht gewährleistet, Verschlüsselung ist aufwendig und für Laien kompliziert.

-          Mangelnde Finanzierung durch Kassen und Versicherungen

-          Schwierigkeit, das Maß der Information zu begrenzen (wenn „grenzenlose“ Patienten fast alles zusenden wie Witze, Tipps) – solche Patienten haben zusammen bereits zwischen 500 und 1000 E-Mails an den Therapeuten geschrieben

-          Der Therapeut muss schnell schreiben können oder eine Spracherkennungssoftware benutzen.
 

Zu Diskussion und Ausblick

 


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